Seit vielen Jahren beschäftigt mich die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens. Am 01.01.2014 habe ich einen Neujahrstext dazu geschrieben. Ich unterstütze meingrundeinkommen.de seit Gründung der Plattform.
01.01.2014
Ich sitze im Januar 2040 an meinem Schreibtisch und blicke auf die vergangenen 26 Jahre zurück. Im März werde ich achtzig Jahre alt. Anfang dieses Jahrtausends habe ich mich intensiv mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen beschäftigt. Es war mir ein großes Bedürfnis, mich, in welcher Form auch immer, daran zu beteiligen, dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen zumindest in Deutschland, gern auch europaweit oder gar weltweit, eingeführt wird.
Für die meisten Menschen war es undenkbar, dass Bürger eines Landes Geld bekommen, einfach weil sie Bürger sind und nicht für eine kontrollierbare Leistung. Dabei lebten schon damals viele Menschen von Transferleistungen. Vor allem die Subventionen für die Industrie, zum Erhalt von Arbeitsplätzen, waren mir immer ein Dorn im Auge. Oder die großen Wohnungsunternehmen, die vor allem in den Großstädten ihre Mieten so erhöht haben, dass das Arbeitslosengeld II und ergänzendes ALG II angepasst werden musste, obwohl es nicht den Menschen zugute kam, sondern den Wohnungsbaugesellschaften. Ich könnte noch vielmehr Schmarotzer der Sozialsysteme aufführen, die damals die staatlichen Kassen ausräuberten. Ich wunderte mich immer, weshalb in der Öffentlichkeit die ALG II- Berechtigten als diejenigen gebrandtmarkt wurden, die Kassen auszuräubern, wo doch mehr als die Hälfte des ALG II für Miete, Strom und Wasser bezahlt werden musste und somit den Vermietern und Energiebetrieben zugute kamen. Die ALG II- Empfänger hatten knapp 340,00 € zur Verfügung, Kindergeld wurde als Einkommen der Kinder angesehen und wurde ihnen von ihrem Regelbetrag abgezogen. Ebenso Unterhalt für Kinder vom getrennt lebenden Vater bzw. der getrnnt lebenden Mutter. So wurden vor allem Alleinerziehende mit kleinen Kindern in die Armut getrieben.
Immer führte ich mir vor Augen, wie gut die Menschen leben könnten, wenn jeder Bürger 1.000,00 € (oder mehr) Grundeinkommen monatlich von Geburt an bekäme. Im Rahmen einer grundlegenden Steuerreform und Umverteilung des Steueraufkommens sollte ein Bedingungsloses Einkommen möglich sein. Volkswirtschaftler rechneten es damals all jenen vor, die glaubten, das sei ungünstig für den Staat. Deutschland würde dadurch bankrott gehen.
Inzwischen sind Jahrzehnte vergangen. Das Bedingungslose Grundeinkommen ist in Europa umgesetzt. Wunderbar! Die gesellschaftlichen Veränderungen, die daraus resultieren, haben Europa fast aus den Angeln gerissen. Tatsächlich hat sich das kulturelle Leben maximal verändert. Leben in der Gesellschaft heißt heute, seine Kreativität entdecken zu können, auszudrücken und mit anderen zu teilen. Der allgemeine Leistungsdruck ist einer Freude am Tun gewichen. Nichts ist zum Erliegen gekommen, wie manch ein Kritiker befürchtete. Alles, was die Menschheit über Jahrtausende an technischem Knowhow entwickelt hat, wird stetig weiterentwickelt und kommt allen Menschen zugute. Keiner muss mehr um seinen Arbeitsplatz fürchten, denn die materielle Existenz ist durch das Bedingungslose Grundeinkommen abgesichert. Auch miese Arbeiten werden gern gemacht, da sie besonders gut bezahlt werden.
Die Abzocke der Börsianer ist abgeschafft. Banken sind auf ihre einstigen Aufgaben reduziert worden. Niemand vermisst die Börsendaten vor den Tagesthemen.
Der Überdruss an Konkurrenzgebahren und Gewinnmaximierung hat in den letzten zwei Jahrzehnten so um sich gegriffen, dass eine Hinwendung zum Miteinander, statt Gegeneinander zur gesellschaftspolitischen Realität geworden ist.
Rentenkasse, Krankenkasse, Arbeitslosenversicherung – all das gibt es nicht mehr. Die staatlichen Einnahmen, die durch die Konsumsteuer reinkommen, werden wesentlich gerechter aufgeteilt, als noch in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts. Welche großen Extras sich die Bundesrepublik leistet, wird durch Volksabstimmungen geklärt. Die Politikverdrossenheit der Bürger ist einem Interesse gewichen. Den Volksabstimmungen gehen intensive Diskussionen voraus, unter anderem ermöglicht durch Internetportale.
Billig, billiger, am Billigsten gibt es nicht mehr. Billiglohnländer gibt es nicht mehr. Die Menschen der Schwellenländer haben Jahrzehnte des Kampfes gegen schlechte Bezahlung hinter sich. Die europäische Bevölkerung hat sie in ihrem Kampf unterstützt. Gute Produkte haben ihren Preis. Es wird weltweit immer weniger für die Mülltonne produziert. Das Umdenken hin zu nachhaltigem Wirtschaften ist vollzogen. Es gibt wieder Reparaturwerkstätten, die bezahlbar sind. Meinen Drucker, der gerade Druckprobleme hat, bringe ich zur Werkstatt und kann ihn in Kürze wieder funktionstüchtig abholen.
Die Menschen sehen die Welt als Eine Welt.
P.S: Geld existiert noch als Zahlungsmittel. Die aktiven Veränderer und Zukunftsvisionäre von heute (2040) sind intensiv damit beschäftigt, eine Welt ohne Geld zu denken und zu proben.
Nachtrag 12.02.2021: Inzwischen sind sieben Jahre vergangen, die Mieten sind bundesweit gestiegen und ich sehe, dass mit 1.000€/Monat die überhöhten Mieten nicht gezahlt werden können. Es sei denn, man verabschiedet sich von der Stadt und zieht in ländliche Gebiete, vielleicht sogar mit Freund*innen zusammen, um gemeinsam zu leben und etwas aufzubauen.
Das ALG ll wurde seit 2014 immer mal wieder erhöht. Der Regelbetrag für Singlehaushalte entspricht seit 01.01.2021 446,00€/Monat plus Miete und Heizkosten. Im Regelbetrag sind die Stromkosten enthalten, sodass von 446€ – ~75€=371€ für den Lebensunterhalt übrig bleiben. Die Mieten sind kommunal gedrosselt. Z.B. erhält ein Singlehaushalt in Berlin maximal 420,00€ Bruttokaltmiete pro Monat. Das ist schon viel, aber es gibt kaum freie Wohnungen, die so günstig oder günstiger sind. Wohnt man in einer Wohnung, die z.B. 520,00€ Bruttokaltmiete kostet, bedarf es einigen Aufwand, um diese Miete langfristig erstattet zu bekommen. Die Drohung, in eine günstigere Wohnung umziehen zu müssen, steht immer im Raum. Wenn man nicht umziehen will, und sei es, weil es gar keine vergleichbaren günstigeren Wohnungen gibt, ist man verpflichtet, von der Grundsicherung Geld abzuknapsen. Viele Haushalte müssen einen Eigenanteil von der Grundsicherung zur Miete beisteuern. Dabei ist die Grundsicherung für die Lebenshaltungskosten gedacht, nicht für Mietzahlungen. Wenn sich der Berliner Mietendeckel durchsetzen lässt und nicht von Gerichten gekippt wird, wäre das ein guter Anfang für Mieter, die normal verdienen oder Grundsicherung erhalten. Vielleicht gibt es so eine Chance, dass Wohnungen nicht mehr überteuert vermietet werden.
Seit einem Jahr leben wir weltweit im Corona-Ausnahmezustand. Das hat die Situation für Familien im ALG2-Bezug deutlich verschlechtert, da die Kinder keine Kitas und Schulen besuchen und kein regelmäßiges kostenfreies Essen in den Einrichtungen bekommen. Auch die Tafeln, als Orte freier Essensausgaben, haben weniger abzugeben, wenn sie nicht sowieso geschlossen sind, da Restaurants und Hotels geschlossen sind.
Sozialverbände machen sich stark dafür, die Grundsicherung entsprechend anzuheben, aber die politischen Entscheider*innen tun sich schwer damit, den Menschen, die wenig haben, schnell und unbürokratisch zu helfen. Ganz anders sieht es aus, wenn die Lufthansa oder der Touristikkonzern Tui Milliarden Staatshilfen benötigen. Da fühlt sich der Finanzminister und weitere Entscheider*innen nach reiflichen Abwägungen ziemlich schnell in der Lage, diese zu gewähren. Schade! Ich bin ja immer sehr skeptisch bei Staatshilfen für Konzerne. Ich habe immer das Bild, dass die Manager viel Geld zum Aufstocken ihrer Jahres- Boni nutzen. Dabei gruselt es mich!
Nachtrag 14.01.2023: Seit dem 01.01.2023 heißt das ALG2 Bürgergeld. In der Planung war, dass ein Singlehaushalt gut 60,00€ mehr in der Tasche haben sollte. Das Bürgergeld beträgt 506,00€ Grundsicherung plus Miete, plus Heizkosten. Nach wie vor sind die Stromkosten vom Bürgergeld zu zahlen. Allerdings sind im Jahr 2022, durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und die darauf erfolgten Wirtschaftssanktionen gegen Russland, die Energiepreise über das Doppelte gestiegen. Deshalb wandert die Erhöhung der Grundsicherung direkt in die Portemonnaies der Stromversorger.